Erklaerung zum Ueberfall in Emsdetten

Erklärung der GMK (Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur) zum Überfall auf die Geschwister-Scholl Schule in Emsdetten: Sind die Killerspiele Schuld?

Nach dem Überfall auf eine Schule in Nordrhein-Westfalen drängt Niedersachsens Innenminister Schünemann auf ein rasches Verbot so genannter Killerspiele.
„Eine entsprechende Initiative werde vorbereitet.“ sagte er der Netzzeitung (21. November).

Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, zieht das Verbot von Killerspielen in Betracht. Gleichzeitig gab er aber zu bedenken, dass nicht jeder, der ein solches Spiel spiele, automatisch zum Massenmörder werde. Ähnlich äußerte sich der Vizevorsitzende der Unions-Fraktion, Wolfgang Bosbach (CDU), und forderte, dass der Gesetzgeber endlich handeln soll (n-tv-online, 21. November 2006).

Selten war so kurz nach der Tat so umfangreiches Material über den Täter verfügbar. Schon wenige Stunden nach seinem Anschlag auf die Schule in Emsdetten wurde sein „Abschiedsbrief“ im Wortlaut im Netz von n-tv.de publiziert. In diversen Computerspiele-Foren war er bekannt und auch auf youtube hat er zwei Videos gepostet: eins unter dem Titel First skrim – es handelt sich um ein militaristisch anmutendes Air-Softspiel mit verschiedenen Jugendlichen, an dem der Täter offensichtlich beteiligt war sowie ein Video mit dem Titel ‚Columbine’, das er den Opfern und Tätern (!!) des Columbine-Schulmassakers widmete.

Was bekannt ist: Der Täter war Gamer, Counterstrike und Doom 3 sollen ihn besonders interessiert haben, er war ein Waffenfan und er war offensichtlich ein schulischer Außenseiter, der sich durch Schule und Mitschüler/innen gemobbt fühlte.

Drei Elemente, die bei Robert Steinhäuser – dem Täter von Erfurt – ähnlich aufschienen.

Warum wird den Killerspielen eine so herausragende Bedeutung beigemessen? Geht man von einer direkten Wirkung aus? Ist derjenige, der sich in den Killerspielen durch die Spieleszenarien bewegt, im realen Leben gefährdet, in ähnlicher Form seine Sozialbeziehungen zu gestalten? Im Klartext: seine Mitmenschen zu ermorden, wenn sie ihm im Weg stehen? Eine derartige Wirkungsvermutung wird sicher niemand ernsthaft in die Debatte werfen. Wären die beiden Taten – Erfurt und Emsdetten – vielleicht nicht geschehen, wenn die beiden Täter keine Killerspiele gespielt hätten?

Dazu ist vielleicht ein Blick auf die anderen Komponenten der Täter von Bedeutung: Sowohl bei Robert Steinhäuser als auch bei dem Täter von Emsdetten scheint die Auseinandersetzung mit dem Ausgestoßensein in der Schule zentral. Robert Steinhäuser hatte die Schule verlassen, ohne seine unmittelbare Umgebung darüber zu informieren und lebte ein Scheinleben mit fingiertem Schulbesuch.

Der Täter von Emsdetten hat demgegenüber die Realschule zu Ende gebracht und mit Abschluss verlassen. Er beklagt sich in seinem „Abschiedsbrief“ über die Diffamierung, er fühlte sich als Verlierer abgestempelt: „Das Einzige, was ich intensiv in der Schule beigebracht bekommen habe, war, dass ich ein Verlierer bin“ (Zitat Abschiedsbrief).

Auch war er über die Konsumanforderungen frustriert, an denen er nicht hinreichend teilhaben konnte, an einer „Welt, in der Geld alles regiert, selbst in der Schule ging es nur darum“, so beschreibt er seine Erfahrungen in der Schule.

Was in seinem Abschiedsbrief deutlich durchscheint, sind zum einen typische Jugendthemen, wie Sinnsuche: „Also muss man seinem Leben einen Sinn geben“ oder „Es gibt für mich jetzt noch eine Möglichkeit, meinem Leben einen Sinn zu geben“.

Und selbst in seiner wirren Logik, die zu seiner brutalen Tat führte, setzte er sich mit Verantwortung auseinander: „Ihr habt diese Schlacht begonnen, nicht ich. Meine Handlungen sind ein Resultat Eurer Welt“. Bei seinem Bestreben „Freunde zu haben, Spaß zu haben“ ist er offensichtlich gescheitert. Die Anerkennung im Freundeskreis wurde ihm verweigert, er war isoliert, fühlte sich als Verlierer.

Sein Erfahrungen und Empfindungen verknüpft er zu einer chaotischen politischen Theorie, einer Mischung aus Anarchie und Faschismus. So forderte er für sich die absolute Freiheit, seinen besonderen Hass richtete er auf Schule, Türken und staatliche Institutionen. Hier nutzte er die Konstruktion, die aller faschistischen Theorie immanent ist: Der Gegner wird des Menschlichen entkleidet und wird dann nur noch unter einem Begriff – bei ihm „Türken“ – subsumiert, der für alles verantwortlich ist und der in letzter Konsequenz „vergast“ werden muss.

Warum wurde der Täter nicht rechtzeitig gebremst? Wo waren die Freunde, die Bekannten, die Verwandten, die Mitspieler im Internet oder bei Airsoft, die seinen kruden Theorien etwas entgegen stellten und ihn aus einer Zuspitzung seines Lebens herausholten?

Wo waren die gesellschaftlichen Sensoren, die mitbekamen, was mit ihm in der Schule geschah?

Der Täter wirkte ja nicht im Verborgenen.

Deshalb müssen die Konsequenzen doch jetzt heißen:

  • Welche Institutionen können wir Kindern und Jugendlichen anbieten, die sie aufsuchen können, wenn sie drohen verloren zu gehen, wenn sie gemobbt werden oder sich so fühlen?
  • Wie können wir unser Schulsystem so verändern, dass Schüler/innen, die aussteigen, wieder integriert werden?
  • Wie sensibel werden Botschaften, die möglicherweise Hilferufe sind, aufgenommen und wie kann angemessen reagiert werden?

Alles Fragen, die nicht ausschließlich mit Killerspielen zu tun haben – allenfalls mit Diskussionen in den Spieleforen oder mit einer Sensibilität von Mitspieler/innen, extreme Äußerungen ernst zu nehmen und die geeignete Beratungsstellen einzuschalten.

Killerspiele verbieten: Das bedeutet ein Abdriften von Spielen in die Illegalität sowie eine mögliche Kriminalisierung von Mitarbeiter/innen in der Jugendhilfe, die über Spiele wie Counterstrike den Kontakt zu Jugendlichen suchen. Denn dies ist eine wichtige Methode, um Jugendliche, die sich durch ihr Spielen isolieren, wieder zu erreichen.

Und auch über die Veränderung unseres Ausbildungssystems müssen wir nachdenken. Schulen sind nicht nur Orte zur Vermittlung von Leistung, sondern Schulen sind soziale Orte, an denen soziales Miteinander gelernt wird. Dieser Auftrag muss wahrgenommen werden: Lernen ist nicht nur Wissensaneignung, sondern auch Training von sozialem Verhalten. Lehrerinnen und Lehrer brauchen hierfür Unterstützung durch Politik und Gesellschaft.

Informationen: GMK, Körnerstr. 3, 33602 Bielefeld, 0521 67788, gmk@medienpaed.de

Quelle: http://www.gmk-net.de
 
Kommentar von Prof. Dr. Ben Bachmair, Universität Kassel, zu dem Überfall auf die Geschwister- Scholl- Schule in Emsdetten
 

Unter jcast.podspot.de/post/jcast-21-verbot-von-killerspielen/ gibt es einen Audiobeitrag von Kristina Kanz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kriminalwissenschaften in Münster, die zum Thema Gewaltmedien und Jugendkriminalität ihre Doktorarbeit schreibt.
 
Diskutieren kann man dazu im Forum der Landesarbeitsgemeinschaft Multimedia (Landesjugendserver Brandenburg) unter: http://www.forumromanum.de/member/forum/forum.php?USER=user_397061